Paula Coulin

Paula Coulin

Geb. 1979 in Stuttgart.

Rheinisch sozialisiert. Studium der Anglistik in Hamburg und Manchester. Seit 2004 Lesungen und Slams. Veröffentlichungen in diversen Anthologien. Hat mal in Indien gelebt und gearbeitet. Schreibt am ersten Roman und promoviert.

 

 

Leseprobe:

 

Jans Mär (Romanauszug)

Der Bus fährt seit einer halben Stunde. Janina hängt, benommen von der schlechten Luft, die Busse natürlicherweise produzieren, in einem der mit teppichartigen Geweben bezogenen Schalensessel. Sie beobachtet die Anzeige der Haltestellen über der Fahrerkabine. Am Fenster zieht die Straße vorbei, und an der Straße Kleingartenkolonien, S-Bahn-Trassen und Reihenhäuserreihen. Wieder hält der Bus. S-Bahn Rübenkamp, hier steigen massig Leute ein. Ein Junge mit einer Stoffhose, über der er eine in Höhe der Knie abgeschnittene Jeans trägt, stürmt in den Bus und ans Fenster, um der Frau zu winken, die auf dem Bushaltestellenbänkchen sitzt. Sie hat mindestens zwei bis drei abgenutzte Plastiktüten um sich herum stehen, einen pinken Wäschekorb voller Altglas und greift gerade suchend unter die Bank. Dann sieht sie auf, winkt ebenfalls und lächelt. In ihrem Mund befindet sich eine Kernfamilie von Zähnen, der Rest ist ausgezogen. Janina verdreht den Kopf, um besser zu sehen, als der Bus weiterfährt. Der Junge mit den zwei Hosen lacht wie einer der Autisten, mit denen sie ein Jahr lang gearbeitet hat. Ihr fehlt das, merkt sie plötzlich, ihr fehlt Kolle, der schon fünfzig war und am liebsten gewebt hat. Zum Geburtstag hat er ihr einen Teppich gewebt, so groß wie ein Telleruntersetzer. Das Ding liegt unter ihrem Kopfkissen, die bunten Wollfäden verlaufen unregelmäßig, verschwinden oft, um an anderer Stelle wieder aufzutauchen. Eingewebt sind auch Kassettenbänder, Gelber-Sack-Bindefäden und Stroh. Wenn sie nicht schlafen kann, tastet sie danach, fährt die Oberfläche mit den Fingerkuppen ab.

 

Stand: 13.11.2007